BUSCH SINGT
Ein Film von KONRAD WOLF (1935) + Materialien
Edition Bodoni
2025 wurde der 100. Geburtstag des ostdeutschen Regisseurs Konrad Wolf mit diversen Retrospektiven gefeiert. Vergeblich suchte man allerdings die Sendung der sechsteiligen Fernsehserie Busch singt, seiner letzten Arbeit. Auch die kompakte Kinofassung blieb interessierten Kino- bzw. Musikliebhaber:innen leider verwehrt. Besagte Dokumentation über das Leben des Sängers Ernst Busch entstand 1982 in der DDR. Anhand seines Schicksals sollte die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts dokumentiert werden. Ernst Busch selbst hatte von 1964 bis 1974 für seine Chronik in Liedern, Kantaten und Balladen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 226 Titel für das von ihm betreute Label Aurora aufgenommen.
Mastermind der sich an dieser Chronik orientierenden Fernsehserie war der damals prominente Regisseur Konrad Wolf, der Sohn des schwäbischen Arztes und Schriftstellers Friedrich Wolf. Aus komplizierten rechtlichen Problemen war es letztlich Michael Rieger zu verdanken, wenigstens (leider nur) die Rechte für den dritten und fünften Teil dieser Fernsehproduktion veröffentlichen zu können. Die entsprechende DVD ist mit einem Begleitbuch erhältlich, mit einer Analyse des ersten Teils von Jürgen Schebera, der u.a. auch an der Hanns Eisler-Gesamtausgabe mitarbeitete. Ernst Busch war ja nicht zuletzt der bedeutendste Interpret der Lieder Hanns Eislers. Die beiden weiteren Essays stammen von dem eher als Liedermacher bekannten (Hans-Eckardt) Wenzel und von Carmen Bärwaldt, Konrads ehemaliger Regieassistentin.

Der erste Teil der DVD nennt sich 1935 oder das Faß der Pandora. Wolf wirft einen larmoyanten Blick auf dieses „scheinbar normale, unauffällige Jahr in Deutschland“. Es ist keine Dokumentation im herkömmlichen Sinn, sondern Wolf unterlegt Wochenschau- und Filmausschnitte mit 18 Liedern unterschiedlichster Autoren (Brecht, Tucholsky, Kästner, Becher, Mehring, Langhof u.a.), alle gesungen von Ernst Busch. In einem kurzen Ausschnitt einer Radiosendung ein paar Wochen nach Kriegsende berichten Busch und seine ehemalige Frau Eva kurz über ihre musikalischen Tätigkeiten im holländischen Exil. Aber letztlich verzichtet Wolf in diesem Filmteil auf jeglichen Kommentar. Diese Aufgabe übernehmen die Lieder. So werden Aufnahmen von Görings Hochzeit mit den Moorsoldaten und dem Kälbermarsch unterlegt; die Aufnahmen von Kriegsschiffen und dem deutsch-britischen Flottenabkommen werden vom Seemannschoral konterkariert; der Gruß an die Mark Brandenburg begleitet Exerzierübungen, rhythmische Gymnastik mit Bällen und ein paar kurze idyllische Impressionen von Brandenburg. Zu Aufnahmen vom Winterhilfswerk, einem Maitanz und einen vor dem Mikrofon sich windenden Goebbels lässt Wolf Ernst Busch Der erste Schritt vom rechten Weg singen. Mit einer Ballszene, dem Lied Ein Pferd klagt an (O Falladah, die du hangest!) und dessen letzter Zeile „Sonst passiert euch was, was ihr nicht für möglich haltet!“ endet 1935.
Den zweiten Teil hat Wolf gänzlich anders gestaltet. Er tritt selber vor die Kamera und berichtet mit Hilfe zweier von Busch besprochener Kassetten sowohl über dessen Schicksal, angefangen von seiner Flucht aus Belgien, über seine Internierung in Gurs, seinem erfolglosen Fluchtversuch in die Schweiz bis zu seiner Befreiung aus der Haftanstalt Brandenburg, aber auch über sein eigenes, beginnend 1935, als er gemeinsam mit Ernst Busch, als Teil eines Kinderchors, auf der Bühne des Gewerkschaftshauses in Moskau stand. Genau bei diesem Konzert war auch ein späterer russischer Soldat anwesend, der Busch auf seinem Weg nach Berlin erkannte und ihn deshalb nicht erschoss, sondern ihm Lieder vom damaligen Konzert vorsang. Busch selbst konnte zu diesem Zeitpunkt nicht singen, da er bei einem Bombentreffer in der Haftanstalt Moabit im Gesicht schwer verletzt worden war. Wolf hat das Kunststück vollbracht, ein Mitglied dieser russischen Patrouille zu finden und diesen ehemaligen Soldaten in seinem Film auftreten zu lassen. Er selbst hätte Busch auf seinem Weg nach Berlin auch treffen können, Wolf war damals als Soldat der Roten Armee nach Deutschland zurückgekehrt. Schließlich kommt auch der russische Lyriker Konstantin Simonow zu Wort, der sein Gedicht Ein Deutscher (Немец) über Ernst Busch vorträgt.
Konrad Wolf hat die Fertigstellung des sechsten Teils seines Projekts nicht mehr erlebt. Er starb 56-jährig 1982 in Berlin. Busch war zwei Jahre zuvor gestorben. Seine letzte Rolle war die des Jovellanos in Konrad Wolfs Film Goya – oder Der arge Weg der Erkenntnis.