music unlimited, Wels, 7. bis 9. November
Das interessanteste, weil stilistisch offenste Musikfestival dieses Landes nähert sich schrittweise seinem 40er an. Bevor es soweit ist, kuratiert der Verein waschaecht die 39. Ausgabe wieder, wie alle zwei Jahre, selber. Auffallend dabei sind nicht nur die vielen hörenswerten Konzerte, sondern auch die souveränen, bisweilen schalknackigen Anmoderationen von Wolfgang Wasserbauer, dem primus inter pares eines vielköpfigen Mitarbeiter:innen-Teams. Wödklasse!
Am Freitagabend sorgt das Turquoise Dream für einen Höhepunkt. Anders als vor einem Jahr in Nickelsdorf, geht man die Sache hier etwas ruhiger an. Vor allem die erste Hälfte des Konzerts gerät beinahe kontemplativ. Auf rauschende Dialoge folgen dichte Patterns, in denen sich Marta Warelis (p) sowie Helena Epsvall (c) und Carlos Zingaro (v) perfekt ergänzen und im weiteren Verlauf immer weiter nach vorne pushen. Marcelo Dos Reis (g) steuert zunächst vereinzelte, später vielschichtige Licks und packende Riffs bei. Den Vogel des ersten Abends schießt indes der, nach der Absage von Zoh Amba, kurzfristig für ein Solokonzert eingesprungene Frank Rosaly ab. Zumeist in Nebel verhüllt, entwickelt der Chicagoer eine bezaubernde Dramaturgie, die an Becken und Gong beginnt und sich pulsierend und ganz ohne Angeberei auf die restlichen Bestandteile seines Drumsets erweitert. Keine Pausen, keine Lücken, kein künstliches Virtuosentum. Ganz famos.
The New Quintet mit Jeb Bishop (tb) Camila Nebbia (sax), Elisabeth Harnik (p), Vinicius Cajado (b) & Didi Kern (dr) wurde spontan zusammengestellt, weil Luc Ex‘ Limosa Limosa absagen musste. Wer die fünf Musiker:innen kennt, weiß, dass sie keine Gefangenen machen: Vor allem Nebbia spielt sich, mitunter allzu sehr, in den Vordergrund und zeigt, dass sie zu den vielseitigsten Saxofonistinnen der Szene gehört. Bishop hält sich etwas zurück, setzt aber gezielte Kontrapunkte. Gleiches gilt für Elisabeth Harnik. Cajado und Kern halten das Fundament zusammen. Das Quartett Archer beendet den Samstagabend: Dave Rempis (sax), Jon Rune Strøm (b) und Tollef Østvang (dr) bewegen sich zumeist in der klassischen freien Improvisation und schaffen es auch, sich beschwingt in Richtung Hardbop fallen zu lassen. Damit es nicht allzu versöhnlich klingt, streut Terrie Hessels mit seiner Gitarre immer wieder laute Störmomente ein: Noise, Distortion oder einfach perkussive Off-Akkorde.

Es ist auch in Wels geübte Praxis, dass manche Musiker:innen mehrfach in unterschiedlichen Formationen in Erscheinung treten. Bei unlimited ist das unter anderem die 80-jährige japanische Saxofoninstitution Akira Sakata. Sein nachmittägliches Solokonzert in der Landesmusikschule beginnt mit leisen Glocken- und Klangschalenklängen. Dann zieht er sorgfältig gewählte Linien am Altsaxofon und spritzigere an der Klarinette. Dazwischen performt er mit rauer Stimme eine uralte rituelle Erzählung, die früher u.a. von blinden Mönchen mündlich überliefert wurde. Auf die Schl8hof-Bühne kommt er im Trio Chikamorachi mit Darin Gray (b) und Chris Corsano (dr). Fast klassisch zu nennender Jazz gemahnt an die 1960er, wird in dieser Stringenz musiziert aber nie alt.
Plüsch ist ein seltsamer Name für ein famoses Quartett von Ada Rave und Camila Nebbia (sax), Marta Warelis (p) und Christian Lillinger (dr). Besonders bei den raren langsamen, intimen Passagen scheinen die beiden Saxofonistinnen friedlich zu palavern, statt heftig zu streiten. Ganz fantastisch spielt Warelis, die sich manches witzige Gefecht mit Christian Lillinger liefert, der in seiner Hyperaktivität allerdings ein wenig nervt. Mats Gustafssons Trio Fire! mit Johan Berthling (b) & Andreas Werliin (dr) wird durch die Mitwirkung von Oren Ambarchi (g, e) zum Quartett erweitert. Bass und Schlagzeug bauen eine stoische Basis, beeindruckend in ihrer Konsequenz. Auffallend, dass Berthling im Wesentlichen mit drei Tönen auskommt; das passt aber gut ins Bandkonzept. Gustafsson brummt machtvoll und flexibel am Bariton, während seine Flöte helle Lichtblitze in den nächtlichen Schl8hof schickt, Ambarchi konterkariert sanfte Ambient-Klänge immer wieder mit klaren Gitarrensounds.

Am Nebenschauplatz Bildungshaus Schloss Puchberg ereignet sich am Sonntagnachmittag Erstaunliches. Angefangen von der eigentlich unfassbaren Saxofonistin Sakina Abdou, die expressiv am Tenor in gemächlichem Tempo, nach dem Start auf der Bühne, als marching one woman band durch die Publikumsreihen geht, um im zweiten Teil am Altsaxofon sich ausgerechnet vor zwei freiStil-Kollegen postiert, um dort Intensität und so blanke wie riskante Schönheit zu intonieren. Danach zelebrieren Ig Henneman & Ab Baars ihren zusammengezählten 150er mit einem vorwiegend stillen, in ihrer Neigung zur Reduktion phänomenalen Duo-Set. Ein würdevolles Jubiläum. Und im Trio von Ming Wang (Guzheng), Isabella Forciniti (e) und Thomas Berghammer (tp) summieren sich Saiteninstrument, Elektronik und Trompete zu einem frappierenden Gesamtsound, der angesichts der wenigen Proben etwas überraschend wie aus einem Guss funktioniert. Die tonale Klarheit und der brodelnde Untergrund passen wie die Faust aufs Auge und wie Öl in die Ohren.
Sakina Abdou vertritt ihre instrumentalen Interessen noch ein zweites Mal, diesmal im Alten Schl8hof mit dem Posaunisten Matthias Müller, dem Drummer Peter Orins und dem Turntablisten Joke Lanz im Quartett Trapeze. Meine Güte, was denen alles einfällt: fantasiebegabtes Gebläse, punktgenaue Perkussion, dazu Joke Lanz, der immer wieder einmal zu überraschen weiß. Etwa im Duett mit Abdou, wenn er die Platte von Samples der Jazz Masters mittendrin weit von sich wirft.
Vorwiegend dunkel und in stiller Konzentration versenkt sich Drank, das Duo von Ingrid Schmoliner (p) und Alex Kranabetter (tp, e), samt den Gästen Lukas König (dr) und Anja Plaschg alias Soap&Skin (voc, e). Ambient mit scharf und alles.

Nach dem offiziellen Ende der 38., von Ken Vandermark kuratierten unlimited-Ausgabe überraschten im hinteren Saalbereich Paula Sanchez & Mariá Portugal mit einem kurzen, kraftvollen Klangdessert. Ergänzt um die Cellistin Gabby Fluke-Mogul, begehen die beiden als Endless Breakfast heuer eine Wiederholungstat auf der großen Bühne. Und sie segeln mit fliegenden Fahnen durch stille und tosende Ozeane. Ein Schiff mit acht Segeln. Ein furioses Finale legt das französische Trio Nout hin und lädt sich zu allem Überfluss noch Mats Gustafsson als Gast ein. Ausgerechnet in der Besetzung Flöte(!), Harfe(!!) und Schlagzeug brettern, elektronisch teilweise harsch verstärkt, Delphine Joussein, Rafaëlle & Blanche Lafuente unwiderstehlilch durch von Punkrock und Noisejazz geprägte Klanglandschaften. So könnte man sich auch Sun Ra unter Starkstrom vorstellen.
Am Ende dieses solitären Musikfestivals mit allerhand soziokulturellem Mehrwert (plus fabelhaften Fotos von Luciano Rossetti im unlimited-Restaurant) wurde auch schon die Gastkuratorin der 40. music unlimited bekanntgegeben. Es handelt sich dabei um die superne Perkussionistin und Vokalistin Mariá Portugal, die auch die Samstagnacht zusammen mit Paula Sanchez und Gabby Fluke-Mogul als DJ-Trio den Alten Schl8hof in Grund und Boden rockte. Ein endloses Frühstück. Das kann ja ganz schön heiter werden …
Christoph Haunschmid / Holger Pauler / Andreas Fellinger