Summer Bummer, Trix Antwerpen, 28. bis 30. August
Wieder einmal stellt sich die sattsam bekannte Frage: Wie ist es zu erklären, dass es einerseits an jungen Talenten auf dem Feld des freien Jazz und der freien Impro nicht mangelt und fast auf jedem Festival neue Musiker und insbesondere Musikerinnen zu entdecken sind, auf die man sich in Zukunft oft noch freuen wird dürfen, das Publikum dieser Veranstaltungen sich aber nicht in selbem Maße verjüngt und feminisiert? Dabei wird dieser Widerspruch beim Summer Bummer in Antwerpen und sein vergleichsweise junges und weibliches Publikums ohnehin nicht so deutlich wie anderswo, und dennoch fällt er auf angesichts der stark vertretenen jungen Szene im geräumigen, bestens geeigneten Kulturzentrum Trix (mit reichlich Besucherdelegationen aus Deutschland und auch Österreich, okay: aus Wels).

Zur zehnten Festivalausgabe, die zum Jubiläum drei statt wie bisher nur zwei Tage umfasste, waren natürlich auch gestandene Kapazunder der Szene zu bewundern, etwa zum Finale Hamid Drake (dr) im sehr rockigen Duett mir Ava Mendoza (g), bei dem letztere so sehr die Dynamik vorantrieb, dass für Drakes übliche Wortspenden diesmal kein Raum blieb, oder Paal Nilssen-Love, der sich im Rahmen von Amalie Dahl’s Dafnie Extended aber dezent im Hintegrund hält. Auch Rodrigo Amado am Tenorsax, der mit David Maranha an der Elektronik auf der kleinen Bühne einheizt, ist kein Unbekannter. Weit mehr aber gab es an jungen Performern und an bisher unbekannten Projekten zu entdecken, schließlich ist ein Markenkern des Summer Bummer, reichlich Neues und Ausgefallenes zu präsentieren. Man nehme etwa OTTO, das Perkussionstrio von Camille Émaille (am Vortag bereits mir spektakulärem Drum-Solo), Gabriel Valtchev und Pol Small, die mit umgehängten Riesentrommeln eine imposante Rhythmussoundwall aufbauen, die das Publikum in mitschwingenden Beschlag nimmt (disgusting war hier freilich die demonstrative BDS-Propaganda qua T-Shirt, die für kritische Kommentare im Nachgang sorgte). Nicht minder unkonventionell: Das Duo Oei! Mit Katarin Raska an der estnischen Bagpipe und Villem Jahu an selbstzusammengebastelten electronics, die zusammen eine sehr vital-nosige Beschallung liefern.
Sakina Abdou ist eine weitere junge, hochtalentierte Saxofonistin, deren Werdegang man mit Spannung wird verfolgen dürfen. Ob im lautstark-energiegeladenen Trio 1984 (Devise: „Make 1984 fiction again!“) mit Turntablistin Mariam Rezaei und Kobe van Cauwenberghe (g) oder im nicht minder gehaltvoll-vital-dröhnenden Frauenpower-Quartet mit Farida Amadou (b), Ava Mendoza (g) und Heather Leigh (g): Die junge Französin spielt unprätentiös, macht keinen auf dicke Hose, weiß aber an passender Stelle ihre Energie sehr gezielt und expressiv zu veräußern. Apropos female performance: Mit der Kontrabassistin Elsa Bergmann, der Drummerin Anna Lund und der Pianistin Lisa Ullén wird im Trio Space auch eher traditionellem Jazz in Bestqualität die Bühne geboten.
Zur Vielfalt des Festivals gehören aber auch kammermusikalische Séancen hochkonzetrierter, subtiler Musiken und Klangerforschungen mit transzendierender (mitunter auch im positiven Sinne einschläfender) Wirkung wie beim Trio von David Toop, Ecka Mordecai und Christian Kobi oder dem meditativen Blasinstrumenten-Trio Zinc & Copper (Robin Hayward, Elena Kakaliagou, Hilary Jeffery). Nicht zuletzt konnten Impro-Sets gewürdigt werden, die ob ihrer unorthodoxen Instrumentierung und ihren diversen musikalisch-kulturellen Einflüssen am ehesten als improvosierte Weltmusik charakterisiert werden können, etwa das mit musikalischen Sozialisationserfahrungen aus Beirut, Berlin und Kairo arbeitende Trio Marmalsana (Tony Elieh, Burkhard Beins, Maurice Louca) oder The Handover (Jonas Cambien, Aly Eissa, Andrew Nasser), die freie Musik mit traditionellen arabischen Tunes synthetisieren.

Noch was? Der circensische Auftritt der achtköpfigen DaDa-Spektakel-Truppe Art Ensemble of Brussels und das furiose Eröffnungskonzert, der Europapremiere der US-Amerikaner Steve Baczkowski (sax) und Brandon Lopez (b), die mit erfrischendem Freakout-Freejazz gleich mal den Weg für drei tolle Tage weisen, die sich weit über die formidablen Konzerte hinaus auch von der sympathisch-familiären Atmosphäre und dem Drum & Dran vor Ort speisen: Filme, Performances und Ausstellungen, Tonträger, Shirts, selbst gemachtes Essen, ein liebevoll gestaltetes Programmheft mit vielen Interviews. Das Einzige, das fehlt (und für Veteranen gerade österreichischer Festivals einen Kulturschock auslöst), sind Afterparties, sattdessen verlässt man als last man standing bspw. am zweiten Tag um halb ein Uhr morgens das Veranstaltungsgebäude nach Tresenschluss.