
Ganz im Süden Kärntens, in Arnoldstein, betreibt das Team von Christian Pöschl mit der Aktion Mutante seit 30 Jahren fortschrittliche Kulturarbeit.

Christian, ihr begeht heuer euren 30er. Habt ihr euch dafür ein spezielles Programm überlegt?
Naja, ursprünglich war einiges geplant – zahlreiche Konzepte wurden bei diversen Förderstellen eingereicht. Leider blieb es bislang bei Absagen. Unser Wunsch war es, anlässlich des 30-jährigen Bestehens eine Rückschau zu wagen und darüberhinaus zahlreiche weitere Vorhaben umzusetzen. Doch realistisch betrachtet, lassen sich diese Pläne finanziell derzeit nicht stemmen.
Aktuell konzentrieren wir uns daher auf unsere bewährten Formate: Etwa das Fest, das wir unter dem Titel ABC Aktion Brez Confine – ein bewusst gesetztes Wortspiel, das den Drei-Länder-Gedanken Österreich/Slowenien/Italien aufgreift – ins Leben gerufen haben und derzeit organisieren. Und dann ist da noch das Un:Wucht-Festival Ende August. Ich bin gerade dabei, einige Künstler:innen und Bands anzufragen und auszuloten, was realisierbar ist. Sollte sich beides finanziell gut entwickeln, ist es durchaus denkbar, dass im Herbst noch ein weiteres Projekt folgt – vorausgesetzt, die Motivation bleibt. Bei uns hängt vieles davon ab, wie unsere Veranstaltungen laufen – und ob dadurch Raum entsteht, um „nachzulegen“.
Es ist durchaus nicht üblich, dass ein Polizist eine Kulturinitiative leitet. Wie sieht deine berufliche Tätigkeit aus?
Tatsächlich kenne ich niemanden in meinem beruflichen Umfeld, der oder die in vergleichbarer Weise tätig ist wie ich. Ein kleiner Teil meiner Arbeit – man glaubt es kaum – erfolgt nach wie vor im klassischen Uniformdienst, allerdings beschränkt sich das auf zwei bis drei Dienste im Monat. Der weitaus größere Teil meiner Tätigkeit liegt mittlerweile seit einigen Jahren im Bereich der Prävention – ein Feld, das sich erstaunlich vielfältig gestaltet: Suchtprävention, Gewaltprävention, digitale Medien, Sicherheit für Senior:innen, Einbruchsschutz. Die Palette ist breit und berührt nahezu alle Lebensbereiche.
Ein zentrales Element meiner Arbeit ist das polizeiliche Präventionsprogramm „Under18“, das bereits ab der ersten Klasse Mittelschule bzw. AHS ansetzt. In diesem Rahmen bilde ich Kolleg:innen in verschiedenen Modulen aus, um ihnen das notwendige Handwerkszeug zu vermitteln, mit dem sie selbst in Schulen präventiv tätig werden können. Hinzu kommen zahlreiche weitere Aktivitäten – doch der Fokus liegt eindeutig auf der Präventionsarbeit.
Erfreulicherweise wird meine parallele „kulturelle Tätigkeit“ im dienstlichen Kontext durchaus wertgeschätzt – oder zumindest mit Neugier betrachtet. Immer wieder werde ich gefragt, was das eigentlich sei, diese Musik, diese Künstler:innen … und warum man sich so etwas überhaupt anhört. Einige Kolleg:innen haben sich dann sogar aufgerafft und bei dem einen oder anderen Konzert vorbeigeschaut.
Amüsant wird es auch, wenn ich mit Künstler:innen ins Gespräch komme und meine berufliche Tätigkeit zur Sprache kommt. Da ist die Überraschung oft groß. Eine kleine Anekdote: Die Band Kreisky, deren Mitglieder ich schon lange kenne, war bereits bei uns zu Gast, bevor es sie als Kreisky überhaupt gab. Der Sänger – besser bekannt als Kunstfigur Austrofred – spielte im Film GivingGas. Vor einigen Jahren rief mich das Filmteam an: Ob ich Zeit hätte, für eine Filmszene zur Verfügung zu stehen. Sie bräuchten einen Polizisten, der mit dem Austrofred eine Amtshandlung durchführt. Gesagt, getan: Die Crew kam nach Arnoldstein, mein Kollege war einigermaßen überrascht – und ich wurde, völlig unerwartet, zum „Schauspieler“.
Die Musik ist dazu ein Ausgleich, eine Kompensation? Oder ist sie einfach deine große Leidenschaft. Du gestaltest ja auch regelmäßig eine Radiosendung …
Musik ist für mich weit mehr als bloßes Hobby – sie ist Leidenschaft, manchmal auch Ausgleich und wohl nicht selten eine Form der Kompensation. Seit frühester Kindheit war sie Teil meines Alltags, nicht zuletzt deshalb, weil mein Vater als Musiker tätig war. Zugegeben, es handelte sich um Blasmusik, aber er beherrschte sein Instrument mit großer Ernsthaftigkeit und bildete auch junge Musikerinnen und Musiker aus. Meine eigene musikalische Prägung verlief in eine völlig andere Richtung, doch diese fast schon obsessive Hingabe an Musik habe ich wohl von ihm geerbt – oder mir durch die kontinuierliche Beschallung einfach einverleibt.
In meiner Kindheit und frühen Jugend war Musik zunächst ausschließlich etwas, das über das Radio an mich herantrat. Erst mit sechzehn begann sich das zu ändern, und auch hier spielte mein beruflicher Werdegang eine Rolle. Ich begann damals als sogenannter Gendarmeriepraktikant, man könnte sagen: eine Lehre mit 16 in der Gendarmerieschule, die mich früh mit unterschiedlichsten Menschen zusammenbrachte. Einige von ihnen öffneten mir musikalisch die Augen. Meine erste große Umorientierung war der Einstieg in Metal mit all seinen Facetten, eine echte Initialzündung. Einen ganz wesentlichen Wendepunkt markierte jedoch ein Konzert von Naked City in Klagenfurt. Ich fuhr damals nur hin, weil einer der Musiker auf einer Ankündigung ein T-Shirt von einer Band trug, die ich verehrte. Wer Naked City einmal live gesehen hat, kann sich vorstellen, wie intensiv dieses Erlebnis für mich war. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.
Ich könnte spontan gar nicht sagen, welches musikalische Genre ich eigentlich bevorzuge – schon weil ich den Versuch, Musik in Schubladen zu stecken, grundsätzlich für wenig sinnvoll halte. Musik muss etwas mit mir machen, sie muss mich innerlich bewegen – nicht im tänzerischen, sondern im existenziellen Sinn. Nur dann wende ich mich ihr wirklich zu.
Seit 2008 gestalte ich auf dem Kärntner Privatsender Radio Agora die monatliche Sendung ElTopoRadio. Innerhalb der vorgegebenen Sendezeit genieße ich größtmögliche Freiheit. Das Konzept der Sendung geht dabei über das reine Musizieren hinaus. Ich lade gerne Gäste ein, in der Regel zwei pro Sendung, und spreche mit ihnen über ihre Tätigkeiten, ihre Perspektiven. Oft handelt es sich um Menschen mit verwandten Berufen oder Tätigkeitsfeldern, manchmal aber auch um Gäste, bei denen auf den ersten Blick keinerlei Überschneidungen sichtbar sind. Doch im Verlauf der einen Stunde und vierundfünfzig Minuten ergeben sich immer wieder Schnittmengen, Themen, Diskussionspunkte – es wird lebendig. Zwischendurch gibt es Musik, die ich selbst auswähle oder die auch von den Gästen mitgebracht wird.

Wie seid ihr überhaupt auf den Vereinsnamen Aktion Mutante gekommen? Was war dafür der gedankliche Hintergrund?
Wie so oft begann alles mit einer gewissen Unzufriedenheit. Zwei damals noch sehr junge Arnoldsteiner konnten sich mit dem kulturellen Angebot am Land nicht recht anfreunden. In einer Marktgemeinde mit rund 7.000 Einwohner:innen ist Kultur ohnehin ein dehnbarer Begriff. Noch heute dominieren hier eher volkskulturelle Formate: jedes Wochenende ein Kirchtag irgendwo im Tal, Feuerwehrfeste, Chorgesang, Blasmusik und hitzige Diskussionen im Wirtshaus.
1994, zum Zeitpunkt unserer Initialzündung, herrschte in Arnoldstein zwar kein politischer Mief im konservativen Sinn. Im Gegenteil, die Gemeinde war und ist traditionell tiefrot. Aber mit zeitgenössischer oder gar experimenteller Kultur konnte man dort wenig anfangen. Der passende Slogan zur Vereinsgründung „a b’soffene G’schicht“, der später ironisch durch die Gegend geisterte, wäre bereits damals treffend gewesen.
Wir zwei jugendlichen Kulturhungrigen überlegten also, wie man das örtliche Angebot in eine andere Richtung lenken könnte. Der erste Gedanke war eine alternative Silvesterfeier im örtlichen Kulturhaus, einem klassischen Tempel der siebziger Jahre. Doch die nüchterne Realität folgte auf die feuchtfröhliche Idee. Der Antrag an die Gemeinde wurde abgelehnt, die Nutzung des Hauses sei ausschließlich Vereinen vorbehalten. Diese Absage verstanden wir als impliziten Arbeitsauftrag und begannen umgehend, an Statuten zu feilen. Wichtigster Punkt auf der Liste war ein prägnanter Name.
Ich war und bin großer Kinofan, und zu jener Zeit lief die laut Wikipedia Science-Fiction-Horror-Komödie Acción Mutante des spanischen Regisseurs Álex de la Iglesia in den Kinos. Der Film, in dem eine anarchistische Gruppe Freaks versucht, durch blutige Aktionen gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu erzwingen, war wild, grotesk und durchzogen von einer ordentlichen Portion Kunstblut. Wir fühlten uns sofort angesprochen. Der Titel wurde kurzerhand eingedeutscht, und so war er geboren: Aktion Mutante.
Magst du uns einen Überblick über ein paar Highlights der Aktion Mutante geben?
Zu Beginn unserer Aktivitäten lag der Fokus tatsächlich vor allem auf dem Organisieren von Partys. Konzerte interessierten uns anfangs kaum. Das änderte sich erst mit der Zeit, durch persönliche Bekanntschaften, etwa mit Wolfgang Almer, der eine Bookingagentur namens Popfakes betrieb. Dort waren auch die Vorläuferprojekte von Kreisky aktiv, und über ihn gelang es uns, spannende Künstlerinnen und Künstler zu engagieren.
Es ist immer schwierig, einzelne Höhepunkte zu benennen, aber besonders lebendig in Erinnerung geblieben sind mir zum Beispiel Noxagt aus Norwegen. Das müsste im Jahr 2004 gewesen sein. Diese Band trat mit einer derartigen Energie auf, dass wir buchstäblich mit offenem Mund dastanden. Dazu kamen ihre sympathischen Persönlichkeiten. Überhaupt kann ich mich an keine Band erinnern, mit der es zwischenmenschliche Spannungen gegeben hätte. Auch Bulbul und die Soloprojekte der Bandmitglieder waren immer wieder bei uns zu Gast. Dazu fällt mir noch eine Geschichte ein: Bulbul waren das erste Mal 2023 beim Festival Schallmauern dabei. Der Auftrittsort war die Klosterruine Arnoldstein, die damals noch nicht vollständig renoviert war. Der Bühnenbereich war nicht überdacht und, wie könnte es anders sein, begann es zu regnen. Anstatt, wie geplant, um 15 Uhr konnten wir erst gegen 19 Uhr beginnen. Bulbul starteten ihr Set schließlich nach Mitternacht. Die Lage der Ruine hoch über Arnoldstein und die Lautstärke der Musik sorgten dafür, dass sich ein tiefer Bassteppich über die Ortschaft legte. Das stieß nicht überall auf Begeisterung. Mein Handy läutete ununterbrochen, ebenso bei den Kolleginnen und Kollegen. Ich ließ die Band trotzdem spielen, bis mir schließlich jemand, und zwar ein Kollege der örtlichen Polizeistreife, auf die Schulter tippte und meinte, es sei nun wirklich genug. Da waren Bulbul allerdings schon bei der Zugabe.
Ein Detail aus jener Zeit ist mir ebenfalls in Erinnerung geblieben: Wir waren damals als Veranstalter noch sehr naiv und versuchten tatsächlich, die technischen Anforderungen der Bands, die sogenannten Rider, Punkt für Punkt zu erfüllen. Bulbul hatten, wie sich später herausstellte: zum Spaß, drei Garnituren Feinripp-Unterwäsche auf ihrer Liste. Und ja, auch die haben wir besorgt.
Ein weiteres persönliches Highlight war Monster Zoku Onsomb aus Australien, die dreimal bei uns zu Gast waren. Besonders war nicht nur die Musik, sondern auch die Tatsache, dass sie jeweils eine Woche bei uns blieben, wodurch echte Freundschaften entstanden sind. Wir waren in der Region auch der erste Verein, der gezielt Veranstaltungen plante, bei denen ein hoher Anteil an Musikerinnen auf der Bühne stand. Uns war es wichtig zu zeigen, dass Frauen in der Musikszene weit mehr sind als dekoratives Beiwerk. Es war und ist uns egal, ob Bands stilistisch zueinander passen. Entscheidend ist, dass es für uns stimmig ist, dass es uns berührt. Dann organisieren wir es. Daran hat sich nie etwas geändert.
Natürlich freue ich mich auch darüber, dass wir in den letzten Jahren einige Veranstaltungen hatten, die auch finanziell erfolgreich waren. Für einen Verein ist das ein Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist. Und dass wir im letzten Jahr Fuckhead wieder einmal nach Kärnten holen konnten, war für mich persönlich, aber auch für viele Besucherinnen und Besucher, ein echtes Highlight. Im Grunde genommen war für mich jedes Konzert, jede Band, jede Künstlerin und jeder Künstler ein besonderes Erlebnis. Ich kann mich nicht erinnern, je das Gefühl gehabt zu haben, dass jemand nicht gepasst hätte. Subjektiv war es immer großartig. Wirtschaftlich gesehen sieht die Sache natürlich oft anders aus.
Ihr veranstaltet in Arnoldstein, also im südlichsten Kärnten, nahe an den Grenzen zu Slowenien und Italien. Wirkt sich die Kulturarbeit in diesem Dreiländereck auf eure Arbeit und auf euer Publikum aus?
Ich habe bereits sehr früh begonnen, Kontakte zu Vereinen in Italien und Slowenien zu knüpfen. Es war mir ein Anliegen, den kulturellen Austausch im Dreiländereck sichtbar zu machen und aktiv zu gestalten. Diese gelebte Grenzüberschreitung hatte für mich eine politische und auch persönliche Dimension. Gleichzeitig habe ich aber auch eine gewisse Skepsis gegenüber dem allgegenwärtigen Dreiländermarketing entwickelt. Denn alles hier scheint „Senza Confini“ zu sein, überall begegnet einem das Label „Alpe Adria“. Ob Radwege, kulinarische Events, Schirennen oder volkstümliche Musikveranstaltungen: Der grenzüberschreitende Gedanke wird omnipräsent bemüht und wirkt mitunter eher nach Tourismusstrategie als nach echtem kulturellem Dialog.
Gerade deshalb war es mir wichtig, auch ein Zeichen zu setzen, das sich bewusst von dieser PR-getriebenen Beliebigkeit abhebt. So haben wir im vergangenen Jahr das Projekt ABC Aktion Brez Confine initiiert – ein bewusst mehrsprachiger Titel, der Deutsch, Italienisch und Slowenisch verbindet und sinnbildlich für unsere Haltung steht. In diesem Rahmen haben wir mit einem italienischen Verein kooperiert und ein gemeinsames Fest veranstaltet. Außerdem laden wir regelmäßig Bands und Künstlerinnen aus Italien und Slowenien ein. Diese künstlerische Öffnung ist für uns selbstverständlich und bereichernd.
Und doch bleibt eine gewisse Ambivalenz. Inwiefern dieses Dreiländereck tatsächlich Einfluss auf unsere Veranstaltungen nimmt, lässt sich schwer sagen. Wenn ich ehrlich bin, eher wenig. Zwar gibt es in den grenznahen Regionen immer wieder spannende Festivals, die ich selbst gerne besuche. Aber eine wirklich nachhaltige Vernetzung hat sich daraus bislang kaum ergeben. Woran das liegt, kann ich auf Anhieb nicht sagen. An der Sprache dürfte es kaum scheitern. Mit Englisch kommt man gut durch, und ein paar Brocken Italienisch oder Slowenisch sind schnell gelernt. Zudem sprechen viele Menschen in beiden Nachbarländern auch Deutsch. Vielleicht braucht es einfach mehr Geduld und die richtigen Gelegenheiten, um daraus langfristige Strukturen zu entwickeln. Ich schließe jedenfalls nicht aus, dass wir in Zukunft diesen Weg weiterverfolgen. Ideen gibt es jedenfalls viele, und genug Pläne für die kommenden Jahre liegen in der Schublade.