Visual Sound Outdoor Festival,
Parzelle Dortmund, 14. bis 16 August

Nicht, dass es nicht zu erwarten gewesen wäre, aber ein so abwechslungsreiches, von durchwegs formidablen Konzerten getragenes Festival wie das diesjährige Visual Sound Outdoor Festival in der Dortmunder Parzelle ist ausdrücklicher Lobpreisung wert. Typisch für die kuratorisch-konzeptionelle Philosophie Angelika Hoffmanns sind symbolträchtige Kontrastierungen, die aber letztlich jede klischeehafte Erwartung unterlaufen. Wenn etwa Hans Peter Hiby & Camila Nebbia nebeneinander stehend ihre Saxofone zum Glühen bringen, mag dies allein bildlich zunächst ein paar Stereotype zu triggern: alter, maskuliner Haudegen und junge, aufstrebende Powerfrau. Indes: Da war keine Spur von wegen Animus und Anima, kein Yin & Yang, vielmehr, wenn man denn so will, Gender Mainstreaming, und das nicht nur, weil Hiby meist das Alt-, Nebbia hingegen ein Tenorsax verwendet, was ja für sich schon dem Klischee zuwiderläuft. Zwei Ausnahmekönner auf Augenhöhe, mit je eigenem Habitus und individueller Phrasierung, eh klar, aber keine Spur von Alt vs. Jung, von Mann vs. Frau, einfach nur Expressivität und Hingabe. Gerahmt werden die beiden vom souveränen Altmeister Paul Hession an den Drums und der jungen Cellistin Julia Bilat, letztere zunächst noch zurückhaltend, fast schüchtern anmutend, dann aber rechtzeitig eruptierend und den kollektiven Hochenergiestrom mitspeisend. Brötz was in the house! Welch ein Spektakel!
Noch ein Beispiel für eine zunächst antithetisch anmutende Gegenüberstellung: Bill Elgart (ü80) und Lily Finnegan (u30), seit Ken Vandermarks Projekt Edition Redux und dank vieler anderer Kollaborationen längst auch in Europa keine Unbekannte mehr, liefern ein Drum-Duett, das gleichfalls nicht in einen Battle stereotyper Zuschreibungen mündet, sondern sich zu einem gegenseitig inspirierenden und antreibenden, harmonischen Ganzen auswächst. Ihre Klasse, ihr treibendes, phasenweise sonores, immer konzentriertes und souveränes Spiel konnte Finnegan zuvor bereits im Duo mit dem vitalen Bassklarinettisten Ziv Taubenfeld demonstrieren.

Andere Gegensätze im vielschichtigen Line-up waren zum einen klassisch zu nennende Impro-Gigs mit namhaften Granden der Szene, etwa das hochsolide Quartett mit Ab Baars (ts, cl), Margaux Oswald (p), Onno Govaert (dr) und dem Projektinitiator Zev Taubenfeld (bcl): Klassische, technisch versierte Impro, wie man sie freilich (und erfreulicherweise) gut kennt. Auch elektronisch angelegte Performances gab es zu goutieren, namentlich die beiden Auftritte von Angélica Castelló mit Paetzold-Flöte, Tape-Recorder und Elektronik, einmal solo, einmal zusammen mit experimentellem Gesang (Oona Kastner) und weiterer Elektronik (Ach Kuhzunft). Dann aber standen wieder größere Formationen auf einer der drei Bühnen, die ungewöhnliches boten: Etwa das Projekt Vehicle/Passenger um den Spoken-Word-Artist Marc Alberto, der überwiegend dunkle Lyrics intoniert, mitunter aber auch zum Saxofon greift und speziell in diesen Passagen zusammen mit Florian Herzog (b) und Lesley Monk (dr) spektakuläre Ausbrüche aus dem sonoren Sprechgesang ermöglicht. Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich, aber hier drängten sich Analogien zu Moor Mother geradezu auf. Gleichfalls durch den Vokalpart charakterisiert ist die großartige Formation Brique, bei der Bianca Iannuzzi mit mehrsprachigen Gesängen zwischen Klassik, Chanson und Punk changiert und dabei kraftvoll, treibend, verspielt von Francesco Pastacaldi (dr), Luc Ex (b) und der wie stets bestens gelaunten Eve Risser (p) begleitet wird: Chapeau und langanhaltender Applaus!
Und weil wir gerade von jungen Units reden: Camila Nebbias Berliner Projekt The hanged one mit Julia Bilat (c), Andres Marino (e), Arne Braun (g), Lukas Akintaya (dr) und nicht zuletzt Vinicius Cajado (b) sorgten mit ihrem teils strukturiert-komponierten, dabei stets aber viel Raum für krawallige Outbreaks und Impropower lassenden Gig für allseitige Begeisterung.
In den hocherfreulichen Reigen junger, hochbegabter Saxofonistinnen im Kontext Freie Musik und Impro reiht sich ein weiterer Name ein, sie war die Entdeckung des Festivals: Ornella Noulet brilliert am Tenor zusammen mit dem expressiven wie präzisen Drummer Egon Wolfson. Beseelt von John Coltrane, performen die beiden einen leidenschaftlichen, bei aller Vitalität aber auch gelassen-harmonischen Gig, da wird Sax-Geröhre nicht zur selbstveräußernden, gar selbstzweckhaften Pose, mit der manch andere zu beeindrucken vermögen. Man wird noch viel von ihr hören und sehen!
Fazit: Noch ist das Visual Sound Outdoor Festival ein Geheimtipp auf dem Festivalkalender, klein, aber sehr fein; und wenn das mit der Programmqualität so weitergeht, wird sich das freilich bald schon zu einem Pflichttermin im üblichen Festivalreigen mausern.