Konfrontationen Nickelsdorf, 25. bis 27. Juli
Man muss nicht unbedingt im Hotel Paprika in der ungarischen Nachbarschaft von Nickelsdorf übernachtet haben, um die Schärfe der diesjährigen Konfrontationen und die Lust daran und darauf gespürt zu haben. Aber es hilft.
Das beginnt schon am Eröffnungstag mit dem auffallend leger und gleichzeitig pointiert musizierenden Quartett von Christian Marien, in dem der Trommler mit Tobias Delius am Sax, Antonio Borghini am Bass und Jasper Stadhouders an der prickelnd gezupften Akustikgitarre regelmäßig für Akzente sorgt. Der lustbetonte Auftakt setzt sich fort mit dem ersten Auftritt seit zehn Jahren von Trapist. Von der ersten Minute an zieht eine/n die Trapistmusik sofort wieder magisch in ihren Bann. Die Martins Siewert (g, e) und Brandlmayr (perc) operieren mit dem lange Zeit vermissten Joe Williamson am Kontrabass am offenen Herzen. So unterscheidet sich das Trio personell nur an einer Position von Radian. Dennoch kultivierte der Schweigeorden immer schon eine ganz unverwechselbare Klangstruktur. Eine, die in ihrer Dramaturgie gelegentlich an jene von The Necks erinnert, sich aber wieder unvorhersehbar verästelt und verzweigt. Zucker für die Ohren. Kaum weniger zu faszinieren weiß das Trio Bouge von Isabelle Duthoit (voc, cl), Andy Moor (g) und Steve Heather (dr). Damit hat Duthoit den Bandnamen aus der legendären Formation mit Johannes Bauer und Luc Ex beibelassen. Beweglichkeit und Intensität waren die ursprünglichen Qualitätskriterien, und sie sind es nach wie vor. Duthoit wieder öfter als zuletzt an der Klarinette, Moor mit seiner unvergleichlichen Mixtur aus Härte- und Schwebezuständen und Heather immer mit Freude an der Rhythmussache. Schon wieder ein Hochlicht also. Daran ändert auch das Freitagsfinale nix: [Ahmed] beschließen den Freitagabend mit einem fulminanten Set, das man durchaus erwarten konnte. Enorme Lautstärke und dichte Patterns erzeugen eine Dynamik, der man sich trotz vorgerückter Stunde kaum entziehen kann. In der Mitte des Konzerts fragt man sich, wer zuerst den Geist aufgibt: das Drumset oder die Kniegelenke von Schlagzeuger Antonin Gerbal. Die beruhigende Antwort: Beide halten durch bis zum furiosen Finale. Pat Thomas, der am Sonntag seinen 65. Geburtstag feiern sollte und in Hans Falb einen minimal älteren Doppelgänger findet, kann auf dieser Basis seine komplette Kreativität entfalten. Joel Grip (b) steht dem in nichts nach, und selbst Seymour Wright (as) spielt überraschend variabel.

Pat Thomas‘ Wucht wirkt auch am nächsten Abend noch nach, sodass kurzerhand der Klavierstimmer angefordert werden muss, um das Spielgerät zum Auftritt von Alexander Schlippenbach wieder in Form zu bringen. Die Musiker, fünf an der Zahl, danken es mit einem Konzert, das nicht nur die Grenzen der freien Improvisation auslotet, sondern auch kammermusikalische Elemente einstreut. Hierfür stehen vor allem Ernesto (v) und Guilherme Rodrigues (c), wobei diese auch die wilden Momente hörbar genießen. Diese entstehen immer dann, wenn Nuno Torres (as) und Willi Kellers (dr) das Kommando übernehmen. Dann wird es klassisch, im freien Sinne, aber eben auch etwas erwartbar. Christian Fennesz (g, e) und der seit Ewigkeiten hierzulande nicht mehr erlebte Lê Quan Ninh (perc) bestreiten ein Duo, das mindestens genauso gut als zwei Solokonzerte funktioniert hätte. Ninhs große Meisterschaft reduziert er auf eine große Basstrommel, der er mit unterschiedlichen, meist metallischen Materialien zu Leibe rückt. Fennesz macht, was er immer macht: elektronisch verfeinerte Akkorde mit heftiger Neigung zu Harmonien. Und er nimmt fast permanent Rücksicht auf die akustisch leisere Perkussion des Franzosen. Sehr sauber. So sauber wie die Superluft, die Christian Reiners Spontantexte, das Gebläse von Almut Schlichting am Baritonsax und Susanna Gartmayer samt zweitem Schlagzeugauftritt von Christian Marien versprühen. Einfach gehaltenes Stückwerk konterkariert Reiner mit so komplexen wie unterhaltsamen Spoken Words. Ein Vergnügen für die ganze Familie. Lokalmatatador Franz Hautzinger hat zwei seiner aktuellen Buddies zu sich geladen, den multiplen Drummer Lukas König und den immer etwas aufgezwirbelten Kontra- und E-Bassisten Vinicius Cajado. In den besten, wenn auch seltenen Momenten erinnert das an die Dynamik der Bands des unvergessenen Trompeters Toshinori Kondo. Tonale und dramaturgische Längen schmälern den anfänglichen Eindruck mit Fortdauer von Hautzingers Trompetenverzerrungen erheblich. Jo mei. Flight Mode beenden den Abend, wie er begonnen hat: mit einem Set, das nicht nur die Free Jazz-Polizei zufrieden stimmt. Harri Sjöström (ss), Elisabeth Harnik (p), John Edwards (b) und Tony Buck (dr) wissen, dass ein funktionierendes Kollektiv nicht viel falsch machen kann, vor allem dann nicht, wenn man die individuelle Freiheit nicht vernachlässigt. Die schönsten und intensivsten Momente entstehen folgerichtig, wenn sich Harnik und Edwards im Dialog befinden und nicht nur den Weg nach vorne suchen, sondern auch ruhigere Noten und Patterns einstreuen. Dann heißt es: sich zurücklehnen und entspannt den Klängen lauschen.
Das Quartett von Peter van Bergen (sax, e), Ike van Bergen (p, keyb), Wilbert de Joode (b) und Frank Rosaly (dr) eröffnet den kurzen Sonntagabend mit einem Konzert, in dem, durchaus überraschend, Elemente aus Hardbop, modalem Jazz und Spiritual Jazz dominieren. Letzteres vor allem dann, wenn van Bergen tief Luft holt und tief in sein Tenor- bzw. Sopransaxofon bläst und dabei von seiner Rhythmusgruppe luftig und leicht begleitet wird. Spätestens jetzt ist klar, wer hier Pate steht. Sie machen zwar keine Giant Steps, aber manchmal braucht es sie auch nicht, um zufrieden zu sein. Dry Thrust mit Martin Siewert (g, e), Didi Kern (dr) und vor allem Geotg Graewe an der Orgel sind der späte und energetische Höhepunkt des Festivals. Es geht sofort voll zur Sache. Eine Stunde High Voltage ohne Pause, vorwärts und nicht vergessen. Graewe kauert hinter seinem Instrument wie Keith Emerson oder John Lord zu ihren besten Zeiten, er haut in die Tasten, dreht an den Reglern, windet sich und bläst zur nächsten Attacke. Siewert und Kern schaffen es mit erschreckender Sicherheit, stets die richtigen Antworten darauf zu finden: Prog-Rock, Krautrock, psychedelische Sounds, Metal und was weiß ich, mir fehlen die Worte. Das Ganze geschieht selbstverständlich auf einem musikalisch extrem hohen Niveau, sodass keine Wünsche offen bleiben, außer, dass die drei das ganze Ding alsbald wiederholen sollten. Ein extrem würdiger Abschluss eines wunderbaren Festivals, das sich auch von, für Nickelsdorfer Verhältnisse, nahezu eisigen Temperaturen und heftigen Regenmassen nicht beeindrucken lässt.
Fazit: Die schon traditionelle, fast ein Jahrzehnt lang alte Frage, ob es noch nächste Konfrontationen geben wird, erübrigt sich angesichts der vielen Qualitäten des diesjährigen Festivals wie von selbst. So geht improvisierte Musik in ihren beinahe unzähligen Facetten. Nur weiter so!
Holger Pauler / Andreas Fellinger