David Thomas (1953–2025)
Für die Rock’n’Roller zu forsch und zu forschend, für die Avantgardisten zuviel Rock’n’Roll und Performance, für die Jazzer zu wenig instrumentelle Relevanz, für alle zu unberechenbar und zuviel Punk-Attitude, aber bei vielen experimentell orientierten Musiker:innen gut angenommen und angekommen: Die Rede ist hier vom Musiker David Thomas, der ursprünglich aus Cleveland/Ohio stammt, sich aber später in England niedergelassen hatte, wo er bis zuletzt in Brighthon and Hove lebte. David Thomas ist am 23. April 2025 verstorben, im Kreise seiner Familie, wie es heißt. Er möge auf seine heimatliche Farm in Pennsylvania zurückgebracht werden und im übrigen dann dort auf eigenen Wunsch „in die Scheune geworfen“ werden, verlautbart seine Band Pere Ubu in den sozialen Medien.
Noch in Cleveland gründete er 22-jährig die Band Rocket from the Tombs, kurze Zeit später seine mittlerweile als legendär zu bezeichnende Band Pere Ubu, mit der er bis zuletzt und so lange er konnte auf Tour ging und 2023 noch das Album Trouble on Big Beat Street veröffentlichte, auf dem auch der aus der Impro-Szene bestens bekannte Klarinettist und Gitarrist Alex Ward zu hören ist. Wie es heißt, habe David Thomas bis zuletzt noch an einem Album gearbeitet. Seine Freund:innen planen, das Werk abzuschließen und zu veröffentlichen.
„My name is David Fucking Thomas … and I’m the lead singer of the best fucking rock and roll band in the world“, soll er einmal von sich gegeben haben. Der Mann hatte großes theatralisches Temperament und ein ausgeprägtes aber fragiles Selbstbewusstsein. Rock’n’Roll, Underground, Postpunk, Avant-Garage – musikalische Zuschreibungen, mittels derer die interessierte Welt versucht hat, das Werk des anarchistischen Freigeists in den Griff zu bekommen, kein leichtes Unterfangen fürwahr.
David Thomas, der etwas ungelenke, manchmal wild gestikulierende, massige Sänger, zumeist mit Hut, immer seltener mit Gitarre, dafür öfter mit kleinem Akkordeon in den Händen, später sitzend, ausgestattet mit einprägsamer, hoher Stimme, der Mann konnte seine Zuhörer:innen elektrisieren, in den Bann ziehen, entzücken, verzaubern: „Such a thing could never happen to me or anyone I know. Not I not me at the bottom of the sea“ hört man in mit seiner eindringlichen Stimme auf dem Album Monster Walks The Winter Lake aus dem Jahr 1985 trällern, übrigens ein Meisterwerk, das er als „Solist“ veröffentlichte.
Seine Hauptband blieb zeitlebens Pere Ubu, jene Band, die „Garagenrock mit Dissonanzen, Saxofon, elektronischen Effekten und Thomas’ markanter Stimme“ vereinte, wie es in der Hamburger Die Zeit treffend beschrieben wurde. 1975 erschien in der originalen Besetzung (D. Th, Peter Laughner, Tom Herman, Tony Maimone, Scott Krauss) ihre erste Single 30 Seconds Over Tokyo, 1978 dann die erste Langspielplatte The Modern Dance. Die Band wurde fortan oft umbesetzt, bisweilen recht prominent (Mayo Thompson, Anton Fier). Wichtige frühe Begegnungen seiner Zeit in Großbritannien sind zweifellos jene mit Musiker:innen aus der experimentellen Avantagarde, wie zum Beispiel Lindsay Cooper, Chris Cutler und Richard Thompson, mit denen er einige wunderbare Alben aufgenommen hatte.
Thomas’ Verhältnis zur Literatur, zu literarischen Texten ist fast offenkundig und ein wichtiges Fundament seiner kreativen Arbeit. Seine Fähigkeit, literarische Einflüsse in seine Songs zu integrieren, verlieh neben einer dringlichen Expressivität, Texten wie Musik eine zusätzlich entschieden einzigartige Note. 2023 wurde das bislang 19. Pere Ubu Album Trouble on Big Beat Street veröffentlicht, auf dem neben den üblichen Verdächtigen, zu denen neben Bassistin Michele Temple auch Keith Moliné und Andy Diagram zählten, mit denen er zwischendurch immer wieder als David Thomas & Two Pale Boys sehr erfolgreich musziert hatte (bei einem Konzert am Welser unlimited-Festival hörte man die berühmte Stecknadel fallen).
David Thomas hat man bei Konzerten mitunter als exzentrisch, wütend und grantelnd erlebt. Aber trotz wiederholter Eskapaden sorgten seine Auftritte regelmäßig für Begeisterung und wiesen ihn letztendlich als geradlinigen, liebenden und liebenswürdigen Menschen aus.
King Wawo

Als ich Mitte der 80er Jahre in der Stadtwerktatt in Linz als Veranstalter aktiv war, verbreitete sich in der Szene irgendwann zunehmend massive Begeisterung für David Thomas. Der Fame seiner vormaligen Band Pere Ubu war beeindruckend, der Ruf, der seiner aktuellen Band vorauseilte, mindestens ebenso. Die müssen bei uns spielen! Über irgendeine Agentur in Deutschland kam ich zu einem Kontakt, und es gelang mir, ein Konzert zu organisieren. Gage in deutschen Mark: 2000. Für uns damals ein Hochhaus. Der freudigst erwartete Konzertabend startete allerdings mit einem ärgeren Fiasko. David Thomas und seine Band (The Pedestrians) kamen nämlich nicht. Wir warteten eine Stunde, zwei Stunden, die kamen einfach nicht.
Dann tauchten sie irgendwann doch noch auf. David Thomas stieg aus dem Bandbus, komplett verärgert, maximal angefressen. Was war passiert? Die Band und er hatten (als einzige so far) die Stadtwerkstatt in der Friedhofstraße 6 beim Stadtfriedhof in Linz, südlich der Donau, gesucht. Wir waren allerdings in der Friedhofstraße 6 in Urfahr, am nördlichen Donauufer. Und bis die draufgekommen sind, wo sich unsere fabulöse Konzerthalle tatsächlich befindet, waren Stunden vergangen, und es war sehr schwierig und langwierig und mühsam, die Stimmung des David Thomas und seiner Band so weit zu heben, dass ein Soundcheck und ein Konzert zustande kommen konnten. Dieses Konzert entwickelte sich, nachdem die Musiker verköstigt und in den Genuss der international geschätzten Stadtwerkstatt-Gastfreundschaft gekommen waren, zu einer dermaßen fulminanten, verblüffenden und mitreißenden Vorstellung, sowohl für das zahlreich erschienene Publikum als auch offensichtlich für die Band selbst, dass David Thomas seinen Ankunfts-Rage-Mode vergaß und wir ein weiteres Konzert vereinbarten, das dann ein Jahr später stattfand. Wieder formidabelst.
Wie mir David Thomas irgendwann später erzählte, war das Tourneeleben nicht wirklich seine Lieblingsbeschäftigung. Er hätte es bevorzugt, sich ohne Herumfahren in Ruhe dem Schreiben zu widmen. Aber weil das Showbiz-Geld bekanntlich auf der Straße liegt und nicht am Schreibtisch, werden die Autobahnen von den Bands abgefahren, bei bestimmten Abzweigungen (am besten in wohlhabenden Ländern?) verlassen, Veranstaltungslocations werden gesucht, gefunden, Konzerte gespielt und dann wieder Autobahn. Petromaskuline Kilometerfresser-Rock’n’Roll-Melancholy! Auch wenn einem die Beschau von Typen auf Bühnen ganz schön auf die Nerven gehen kann (geschweige denn selbst einer dieser Typen auf der Bühne zu sein), isses dann aber doch auch wieder lustiger und belebender als das meiste andere, Schreibtisch inklusive. So traurig, dass du gestorben bist, David! So schön, dass du da warst!
Markus Binder