Positive Futures, Innsbruck, 16. bis 25. Oktober
Gemäß Selbstdarstellung versteht sich das Positive Futures Festival als sozialer und kultureller Ort einer „Outernational Music for Radical Empathy“, auch auf Merch-Artikeln wird dergleichen „Radical Empathy“ propagiert, man deklariert sich organisational als „grün, sozial und nachhaltig“, als Zweck des austragenden Vereins wird die „Förderung des interkulturellen Dialogs und des grenzüberschreitenden Austauschs“ angeführt, weshalb man auch einen Beitrag für eine bessere, tolerantere Zukunft zu leisten gedenkt, wie dies explizit als Zielsetzung angeführt wird.
Dementsprechend dürfen auch einschlägige Themen, wie Klima, Queerness und Diversity im Programm nicht fehlen, im Line-up finden sich unter den insgesamt 26 Gigs (nebst vielen DJ-Sets) hierzu passend Beiträge musikalisch-performativer wie inhaltlicher Natur. Wer ob all dessen eine Art Love&Peace-Festival mit penetranter Pädagogisierung und Heerscharen von Awareness-Beauftragten vermutet, sieht sich freilich und erfreulicherweise getäuscht: Zwar wird in der Tat Wert auf respektvolle und open-minded Gesamtathmosphärik gelegt, indes mit leichter Hand und ohne Dogmatismus. In erster Linie bezieht sich Vielfalt hier nämlich im Wortsinn auf die auch in der dritten Ausgabe höchst bemerkenswerte Verschiedenheit und Vielfältigkeit der konzertanten Beiträge, die sich letztlich nur durch einen größten gemeinsamen Nenner charakterisieren lassen: meist außergewöhnlich, um nicht zu sagen: schräg, in vielen Fällen die Erwartungen übertreffend, fast immer aber selbige unterlaufend. Es geht um noch – oder auch dauerhaft – kaum bis nicht bekannte Künstler:nnen, die sich unter dem Radar des Massengeschmacks bewegen, aber, zumindest in den meisten Fällen, über Qualitäten verfügen, an denen es im Mainstream meist mangelt: Charisma und Originalität.
Ein besonders geeignetes Beispiel hierfür ist etwa das dadaesk-theatrale Projekt Muovipussi, in dem nicht die musikalische Qualität des Mixes aus Punk, Techno und Sprechgesang im Vordergrund steht, sondern eine hoch originelle, teils akrobatische, wilde und vor allem witzig-ironische Performance des finnischen Trios von Milla Lahtinen, Niklas Blomberg und Heidi Finnberg. Dem Publikum stehen hier letztlich Tränen vor Lachen und Begeisterung in den Augen! Dem nicht ganz unähnlich ist auch die Powershow von Blanco Teta aus Buenos Aires: Musikalisch ist dieser Noise-Krawall des Quartetts um die charismatische Sängerin Josefina Barreix nebst Drums, Cello, E-Bass und jeder Menge Elektronik ganz sicher nicht der Weisheit letzter Schluss, aber dieser Anspruch wird hier gar nicht erst erhoben, es geht auch hier um gepflegten Krawall, Geschrei und jede Menge Spaß, der ratzfatz auf das begeisterte Publikum überspringt: Einfach gut und mit voller Energie zu unterhalten ist ja auch nichts, wofür man sich als Band schäme müsste!

Ganz anders der als Funeral Folk angekündigte Auftritt von Maria W Horn & Sara Parkman – erstere wusste schon tags zuvor solo mit einem sehr kraftvollen, sehr lauten Ambient-Noise zu überzeugen: Die drei, in folkloristischen Trachten gekleidet, intonieren düstere, in der Tradition sakraler Klagegesänge Kareliens wurzelnde Gesänge und Soundscapes, mit Viola und E-Bass, dazu kommen Gadgets wie Drehleier, Glocken und Zither zum Einsatz, alles ordentlich Synthie-verstärkt und -moduliert, versteht sich: Das muss einen nicht tief beeindrucken, darf aber als außergewöhnlich und originell durchaus lobend erwähnt werden. In musikalischer Hinsicht an jenem Abend ohnehin nicht zu toppen und wohl ohnedies eines der absoluten Highlights des Festivals: der Auftritt von Violeta García am Cello nebst Elektronik. Wohl denen, die hier pünktlich am Start waren und nicht erst, wie in Innsbruck üblich (Konzerte in der p.m.k.!), erst weit später eintrudelten: Wenn sie mit ihrem Cello ringt, fast tanzt, erzeugt sie Sounds, die ins Mark gehen, die von melodiösen Passagen bis harten Harsh-Noise-Sequenzen das ganze Spektrum abdecken. Bei geschlossenen Augen lassen sich Ayrton Sennas V-10 ebenso assoziieren wie ein startendes Spaceshuttle, und plötzlich schießen einem dann wieder kurz Bach-Fugen durch den Kopf. Welch ein akustisches, aber auch optisches Spektakel!
Die im Impro-Kontext auch zu überaus expressiven Ausbrüchen fähige Klarinettistin Mona Matbou Riahi überrascht im Trio ARK mit Miriam Adefris an der Harfe und Lukas Kranzelbinder am Kontrabass mit elegisch-kontemplativ-verträumten Tönen und verdeutlicht hierbei andere Facetten ihres Talents. Das gleichfalls mit Blick auf Migrationshintergründe austriakisch-iranische Trio Huuum (Omid Darvish, Rojin Sharafi, Álvaro Collao León) verwirrt anfänglich erst mit folkloristisch-persischen Poptunes und traditionellen Gesängen, bevor die Vocals ins Expressive umschlagen und sich zu elektronischen Beats und freejazzigen Altsaxkaskaden gesellen, wobei letztgenanntes Instrument absichtlich an die Stelle der persischen Surna trat, um hierdurch transkulturelle Erfahrungsräume zu öffnen. Selbem Anspruch werden auch Avalanche Kaito gerecht, wo Drummer Benjamin Chaval und Hardcore-Gitarrist Nico Gitto mit ihrem Heavy-Noise-Rock Kaito Winses teils in der Tradition Burkina Fasos gründende Gesänge und Instrumente nicht etwa kontrastieren, sondern emergent zu etwas Neuem und Originellem amalgamieren.
Bleibt festzuhalten: Was der künstlerische Leiter Martin Bleicher da jedes Jahr auf die (insgesamt acht verschiedenen) Bühnen bringt und wo er seine Künstler überall in Europa aufgabelt, zeugt von hoher musikalischer Neugier, kultureller Mobilität und konzeptioneller Openness, die man in österreichischen Breiten so am ehesten noch in Krems beim Donaufestival oder in Gallneukirchen beim Klangfestival findet – wenn überhaupt!
P.S.: Man jammert ja, und oft zurecht, über die Provinzialität der „Alpenmetropole“, indes finden sich mit den Klangspuren, dem Osterfestival, den Tagen Alter Musik, dem (auch selbstverschuldet in die Krise geratenen) Heart of Noise, dem neuen Elektrofestival Zunder, dem Zeitimpuls (für neue Musik) und eben dem PFF dann doch einiges überaus Hörens- und Sehenswerte. Andere Städte dieser Größe, etwa im benachbarten Bayern, erblassen da mitunter vor Neid.