Die Wiener Musikerin und Kulturarbeiterin Sara Zlanabitnig erzählt im freiStil-Interview unter anderem von ihren Zugängen zu und Ausübungen von ihren beiden Professionen, von Flötentönen, neuen Gruppierungen, von Werner Korn und ihrer Liebe zu Lateinamerika.

Sara, als Soloflötistin durfte ich dich im Hotel Pupik von Schrattenberg erleben. Die Mischung aus Improvisation, Experiment und Elektronik hat mich sehr beeindruckt. Nach welchen Kriterien legst du so ein Solo an? Und hat sich daran seit früheren Tagen eine frappante Veränderung ergeben?
In meinen Solo-Studien geht es mir darum, der Flöte Töne zu entlocken, die nicht schon tausende Male gehört worden sind. Ich versuche das in erster Linie anhand von false fingerings, also unkonventionellen Griffkombinationen. Sehr gern verwende ich dabei auch die beiden Trillerklappen und kombiniere diese mit schnellen Bewegungen. Für gewöhnlich nehme ich mich dabei auf und verwende ausgewählte Passagen in weiterer Folge als Samples. Grundlegend gefällt mir das Prinzip von sich schleichend verändernden Wiederholungen, und im Lauf der Jahre bin ich immer mehr davon abgekommen, Live-Elektronik in Form von Effektpedalen einzusetzen, da mich der pure (durch extended techniques beeinflusste) Flötenklang interessiert. Um dabei zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen, bin ich natürlich auf gut klingende Räume – oder eine mit der Materie vertrauten Tontechnik – angewiesen.
Mit der Akustik und den räumlichen Bedingungen steht und fällt das Potential meiner Musik. Auf diese Art und Weise arbeite ich nun schon seit Abschluss meines (Jazz-)Studiums in Linz 2016, allerdings komme ich nur im Schneckentempo voran, da mich meine organisatorischen und kuratorischen Tätigkeiten über weite Strecken davon abhalten, den dafür erforderlichen Platz im Kopf frei zu schaufeln. Davor galt es, einen langen Weg zu beschreiten – von der klassischen Flötenpraxis über Songwriting und Lagerfeuermusik, den Wiener Balkanboom, brasilianische Musik bis hin zu Technoversuchen –, um dort zu landen, was du in etwa in Schrattenberg gehört hast. Das Instrument fordert mich immer wieder heraus, es lieb zu haben. Es gilt, das Instrumentarium ständig zu erweitern, um es für mich selbst spannend zu erhalten. Voriges Jahr habe ich mir endlich eine Bassflöte zugelegt –und zwar jene von keiner Geringeren als Cordula Bösze. Da macht das Flötenleben dann wieder Spaß.
Du agierst natürlich auch zusammen mit anderen. Das jüngste Beispiel dürfte die Band mulm sein, die du zusammen mit Richard Herbst und Stephan Roiss, zwei auch für dieses Magazin wichtigen Persönlichkeiten, betreibst. Wie kann ich mir eure Musik ungefähr vorstellen?
Ich habe immer am liebsten mit anderen zusammen agiert! Über den ersten Solo-Auftritt habe ich mich zugegebenermaßen erst im Sommer 2022 im Rahmen der Klangmanifeste in Lindabrunn getraut, das war auch das Jahr, in dem ich mein erstes Soloalbum bei smallforms released habe. Aber genau, eines der jüngsten Bandprojekte ist definitiv mulm. Stephan und mich verbindet eine über 20-jährige und besondere (Brief-)Freundschaft, Richie und er kennen sich auch schon eine Ewigkeit über die Linzer Musikszene. Und als Richie und ich uns vor ein paar Jahren kennen- und mögen gelernt haben, war es aufgelegt, etwas Gemeinsames anzudenken. Wir gehören zu der seltenen Sorte von Musikprojekten, die zuerst einmal eineinhalb Jahre in Form von Klausuren (beispielsweise bei Minigolf auf der Donauinsel und in der Freudenow im Prater) über die zu kommende Musik und die damit einhergehenden Aktionen beraten und Pläne schmieden, bevor die ersten Konzerte (natürlich unterprobt) gespielt werden.
Gemeinsame Termine zu finden, ist ganz schön schwierig, da wir in drei verschiedenen Städten wohnen –Graz, Linz, Wien –aber wir haben mit den goon-Studios am Linzer Pöstlingberg eine homebase bei Freunden, da treffen wir uns gern zum Kochen, Abhängen, Bier trinken und zwischendurch Proben und Aufnehmen. Alle machen gewissermaßen ihr Ding, Stephan kreiert bedacht bis exzentrisch Wörter/Sprache unter Einbeziehung von der Geräuschkulisse loser Objekte, Richie schüttelt seine charmanten Synth-Drones aus dem Ärmel, und ich steuere meine Flötenexperimente bei und mische bisweilen field recordings per Sampler unter diesen mulmigen Sound. Frösche (bzw. Kaulquappen, ihr Vorstadium) zum Beispiel sind irgendwie zu sowas wie unserem Maskottchen geworden.
Andere Kooperationen brachten dich u. a. mit gischt, mit Jaka Berger und Ilia Belorukov zusammen. Und an einem „Blöden Dritten Mittwoch“ bist du mit Instrumentalkollegin Cordula Bösze als Duo „Von B bis Z“ aufgetreten. Erzählst du uns etwas über diese und eventuell auch andere Konstellationen?
Die beiden Kollaborationen mit Jaka Berger und Ilia Belorukov –mit denen beiden letztes Jahr ein Release entwachsen ist –sind dem vom serbischen Kulturverein kuda organisierten Festival In Opposition in Novi Sad entsprungen, bei dem wir im Juni 2023 als echoraum-Team eingeladen waren. Es gab dort allabendliche Sessions, und nach einer davon hat mich Jaka gefragt, ob ich mal Lust hätte, seine Snaredrum mit meiner Flöte zu triggern. Gesagt, getan. Wir haben uns im darauffolgenden Herbst in seinem Homestudio am Land in der Nähe von Ljubljana getroffen und Material aufgenommen, das wir am Ende als veröffentlichungswürdig erachteten. Wir haben uns nach dem nördlichsten Waldtypus der Erde Taiga getauft und mithilfe von Richie und Interstellar Records hundert schöne Platten fabriziert. Der Sound ist sehr kontemplativ ausgefallen und passt zum winterlichen Erscheinungsbild des Albums. Eine slowenische Rezension hat uns mit André 3000 verglichen, sehr lustig!
Ilia Belorukov hat mich letztes Jahr gefragt, ob ich mit ihm eine Kurz-Residency in Novi Sad, also auch von kuda organisiert, bestreiten möchte, die ebenfalls auf einen Release abzielen sollte. So haben wir im Sommer hammerheiße 40 Grad-Tage an verschiedenen Orten, etwa einer Kirche, in den Räumlichkeiten von kuda und im zeitgenössischen Museum der Stadt gespielt, aufgenommen und konzertiert, um Audiomaterial für unser Album zu lukrieren. Ich finde, dass man die Hitze darauf hört. Anfang Juni werden wir eine kleine Release-Tour unternehmen, die uns nach Graz, Ljubljana und an den Wiener Donaukanal bringen wird.
Mit Ursula Winterauer aka gischt verbindet mich eine enge Freundinnenschaft, die wir auch gewillt sind, in Musik umzusetzen. Eine wirkliche Entwicklung scheitert leider bis dato an unserer jeweiligen immer wieder unmöglich anmutenden Verplantheit. Ursula betreibt Ventil Records und ist darüber hinaus als Solo- Filmsoundtrack- und Performancemusikerin äußerst gefragt. Aktuell sind wir dabei, uns für kommenden Winter Konzerte in Brasilien und Chile zu organisieren.
Cordula Bösze habe ich kennengelernt, als ich sie vor vielen Jahren für meine Masterarbeit „Flöte unkonventionell“ (unter der gewissenhaften Betreuung von Burkhard Stangl) interviewt habe. Näher gekommen sind wir uns aber erst in den letzten Jahren durch den echoraum, nicht zuletzt verbindet uns die (auch post mortem anhaltende) Zuneigung zu Werner Korn, der für uns beide in unterschiedlichen Ausprägungen eine sehr gewichtige Rolle gespielt hat. Sie ist auf mich zugekommen und hat mich gefragt ob ich beim Blöden Dritten Mittwoch im Rahmen von Wien Modern ein Duo mit ihr spielen möchte, und ich glaube, es ist uns gut gelungen, manche Rückmeldungen waren nahezu enthusiastisch. Ich hoffe auf eine Weiterführung von B bis Z!
Eine recht neue Formation möchte ich hier auch nicht unerwähnt lassen, da wir große Pläne haben: Es handelt sich um brrrds+y, ein (Block-& Quer-)Flötentrio, bestehend aus Christine Gnigler, Maja Osojnik und mir an den diversen Flöten und Milena Georgieva, auch bekannt als yuzu, an der Elektronik. Wir haben erst zwei Konzerte gespielt (Jahresendzeitschokoladenhohlkörperfestival ’23 und sch:cht bei Wien Modern ’24), werden aber diesen Sommer ein Album aufnehmen und haben großen Spaß daran, gemeinsame Flötenforschung zu betreiben.

Du bist bekanntlich nicht nur versierte Musikerin, sondern auch ebensolche Kulturarbeiterin. Erinnere ich mich richtig, dass du damit in der Initiative Fraufeld begonnen hast? Magst du uns die wesentlichen Impulse dafür in Erinnerung rufen? Und existiert sie gegenwärtig überhaupt noch?
Naja, begonnen habe ich wohl schon früher mit der Mitarbeit der MdW-Konzertreihe Aquarium im Club Ost und mit einer kleinen Konzertreihe im moë und jahrelanger temporärer Mitarbeit bei den Kremser Festivals Glatt & Verkehrt, Donaufestival und Kontraste, aber ernsthafter wurde meine Kulturarbeit vermutlich mit Fraufeld im Jahr 2017. Verena Zeiner hat diese Idee initiiert, und wir haben zuerst zu zweit und später zu fünft im Zuge von (live-)recording sessions drei Compilations mit über 50 lokalen Musikerinnen, vorwiegend Instrumentalistinnen aus den Feldern der progressiven Komposition & Improvisation produziert, weil es uns ein dringendes Anliegen war, Frauen* in der Musiklandschaft sichtbarer zu machen. Nach fünf Jahren ging allen ein bissel die Puste aus, zumal wir den Großteil der Arbeit ehrenamtlich geschupft haben, und nach der Reihe beschlossen meine Kolleginnen – legitimerweise –, ihre Zeit wieder vorwiegend ihrer künstlerischen Arbeit zu widmen. Mir war es zu schade um das bereits Geschaffene, das Netzwerk und das Umfeld, und ich habe mir kurzerhand ein neues Team gesucht.
Seit knapp drei Jahren wird Fraufeld nun von Kira David, Christine Gnigler und mir betrieben, und wir haben uns bisher auf die Diskursreihe Nachhall im Fraufeld (2023 und 2024 vierteljährlich im echoraum zu den Themen Musik & Macht, Musik & Geld, Musik & Geschichte, Musik & Technik, Musik & Stille, Musik & Zufall, Musik & Hormone und Musik & Schiaches) konzentriert und arbeiten gerade an der Umsetzung einer Publikation inklusive Hörspiel in Form eines Kunstbuchs dazu. Der nächste Schritt war das erste Frau*feld-Festival mit live-recording sessions, talks und surprises in den Westbahnstudios am 24. und 25. Mai. Die Zusammenarbeit mit Kira und Christine an diesen Projekten ist nicht nur überaus bereichernd und inspirierend, sondern auch in eine wunderbare Freundinnenschaft gemündet.
Ein nächster Arbeitsschwerpunkt zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Musikschaffende in Wien war bzw. ist „Mit der Stadt reden“, ein Versuch, durch Gespräche mit der Kulturverwaltung Fortschritte zu erzielen. Inwieweit siehst du diese Initiative gelungen? Auch unter dem Aspekt, dass aus meiner Außensicht ein paar wenige davon profitiert haben und andere nicht.
Also da bin ich erst dazugekommen, als die ersten Gespräche mit diversen Stadtpolitiker:innen schon erfolgreich geführt worden waren, aber ich denke schon, dass die Initiative alles andere als umsonst war. Die Erhöhung der Kompositionsfördermittel von 15.000 auf 150.000 Euro sowie die Einführung der zwölf Arbeitsstipendien pro Kalenderjahr gingen damit einher und bringen wesentliche Verbesserungen für freischaffende Musiker:innen mit sich. Außerdem hat es einzelne Proponent:innen unterschiedlicher Szenen einander nähergebracht. Mit Betonung auf einzelne, denn was nicht gelungen ist, ist wirklich viele Leute mit diversen Hintergründen ins Boot zu holen, aber das liegt letztendlich auch an der jeweiligen Bereitschaft und Offenheit gegenüber einer solchen diskursiven und auch konfrontativen Unternehmung; ich habe ja den Eindruck, eine solche wird in Musikzirkeln durchaus gerne gemieden.
Die Treffen, an denen ich teilgenommen habe (das muss 2019 gewesen sein), waren mitunter langatmig und etwas sperrig, und natürlich gibt’s in solchen Gruppen Menschen, die sich gern reden hören, es gibt aber auch solche, die viel zu sagen haben und Erfahrungen teilen können, und für mich waren da jedenfalls auch aufschlussreiche Momente dabei, ich war ja damals recht frisch im echoraum und auch noch nicht allzu lange in diesen Szenenzusammenhängen unterwegs.
Deine Hauptbeschäftigung als Kulturarbeiterin ist, zusammen mit Alisa Beck, die künstlerische Leitung des echoraum. Schon bald nach der umfangreichen Einarbeitung mit dem wunderbaren Werner Korn habt ihr ganz neue Formate und Inhalte etabliert, ohne vom traditionellen Profil abzuweichen. Wie nimmst du deine bzw. eure Arbeit in der Sechshauser Straße wahr?
Uff, dazu könnte ich jetzt weit ausholen. Fest steht, dass die Begegnung mit Werner – initial 2017 im Rahmen einer Frau*feld-Albumpräsentation im echoraum, aber dann vor allem in den Jahren der Übergabe 2019 bis 2021 – wegweisend, immens prägend und vor allem ein großer Glücksfall für mich war. Wir haben uns in diesen Jahren beinahe täglich gesehen, und über die Arbeitsbeziehung hinaus ist daraus eine schöne generationenübergreifende Freundschaft resultiert, die ich nicht missen möchte. Solch inspirierte und inspirierende Persönlichkeiten wie Werner begegnen einer im Leben nur wenige – mir zumindest.
Seinen felsenfesten Willen zur Übergabe und die damit einhergehende Bereitschaft zum Loslassen muss man immer wieder unterstreichen und betonen. Er war einfach ein riesiger Unterstützer der jungen Generation. Was die Anfänge von Alisa und mir ab dem Jahresbeginn 2022 betrifft, hat er immer bekräftigt, fast nie kritisiert, er war – soweit es ihm möglich war – bis zu seinem viel zu frühen Tod im Sommer 2023 bei jeder unserer Veranstaltungen, stets bereit, seinen Enthusiasmus auszupacken.
Diese ganze Phase war sehr intensiv, zumal da ja auch die Pandemie hineingrätschte, und ein neues (Leitungs-)Team zu installieren, dann auch nicht gerade kein Kraftakt. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass sich die neuen Verhältnisse eingependelt haben und dass der Laden läuft. Die Arbeit ist irrsinnig vielseitig, bei zwei Veranstaltungen pro Woche kommt es zu mannigfaltigen Begegnungen, und darüber hinaus gilt es einen mitunter komplexen administrativen Rahmen zu bewältigen.
Alisa und ich haben uns darauf geeinigt, zwei Programmsitzungen pro Jahr abzuhalten, in denen wir das jeweilige kommende Halbjahr zum Großteil programmieren. Dabei kombinieren wir diverse Fixstarter-Kollaborationen mit anderen Vereinen und deren Veranstaltungsreihen oder Festivals mit eigenen Wünschen/Ideen und nicht zuletzt einer Auswahl aus den unzähligen und gefühlt immer mehr werdenden Anfragen aus dem In- und Ausland, die uns laufend erreichen. Kein Leichtes, aber Alisa und ich sind uns da –obwohl aus recht unterschiedlichen Hintergründen kommend – erstaunlich schnell einig, und so fühlt sich dieser doch nicht unwesentliche Aspekt unserer Arbeit organisch und konstruktiv an.
Wir haben auch das Technikteam auf fünf Personen (Christina Bauer, Lisa Maria Hollaus, Daniel Lercher, Gitti Petri & Oliver Stotz) ausgeweitet, arbeiten mit dem Grafiker Wolfgang Gosch zusammen und werden weiterhin tatkräftig von Alice Lapitz beim Einlass und an der Bar unterstützt. Über diese Konstellation bin ich sehr glücklich, das passt gut!
Du hast im Herbst eine ausgiebige Reise vor dir. Wohin soll’s gehen, und was wirst du dort machen?
Nachdem ich mich vom Gefühl meiner ersten echoraum-Jahre gelöst habe, nun für immer an die Stadt gebunden zu sein, habe ich beschlossen, mir zum heurigen runden Geburtstag eine Aus- und Reisezeit zu schenken. Ich war zwischen 2010 und 2017 vier Mal in Südamerika, hauptsächlich in Brasilien, aber auch in Argentinien und Kolumbien unterwegs, teilweise für längere Zeiträume, und es zieht mich wieder in diese Gegenden, die es mir mit ihrer Lebenslust, ihrem kulturellen Reichtum und ihrer landschaftlichen Pracht angetan haben. Einerseits will ich alte Freund:innen besuchen und Nostalgien füttern, es reizt mich aber auch, neue Gefilde zu erleben, beispielsweise war ich noch nie in den Anden. Und andererseits habe ich Lust auf transatlantische Musik-Kollaborationen und -Entdeckungen; Südamerika hat ja eine enorm reiche Flötentradition, dieser will ich noch mehr auf den Grund gehen. Ich habe mich für Residencies beworben, will Konzerte spielen, und im Süden Kolumbiens planen wir mit Freund:innen vor Ort ein Projekt mit Kleinkindern einer indigenen Community. Das alles will noch logistisch in Form gebracht werden, aber je näher die Reise rückt, desto mehr Vorfreude kommt auf.