Ulrichsberger Kaleidophon, 25. bis 27. April

Auch die 39. Ausgabe des Festivals im Oberen Mühlviertel ist von einem heterogenen Musikmix bei hervorragendem Besuch in ausgesucht freundlicher Atmosphäre geprägt. Und klimatisch konnte man sich erfreulicherweise vom Nachnamen des (Neo-)Intendanten distanzieren. Einen äußerst gelungenen Auftakt kredenzt das Trio Oůat des (nicht nur) Klaviervirtuosen Simon Sieger im gleichrangigen Zusammenspiel mit dem auch humorbegabten Kontrabassisten Joel Grip und den umsichtigen Trommler Michael Griener. Ein variables Konzert auf Augenhöhe, weniger hierarchisch als das gleich besetzte Trio von Alexander Hawkins.
Zwei stilbildende Trios von Blechbläsern markieren die Mitte der Abende eins und zwei: zunächst Microtub mit Robin Hayward, Martin Taxt und Peder Simonsen, von denen bald eine neue CD unter dem schönen Titel Thin Peaks auf Thanatosis erscheinen wird. Wie der Bandname schon verrät, geht es – wie in eigentlich allen Arbeiten von Hayward – um die geringstmöglichen Abstände zwischen den Noten, um die Mikrotöne, im vorliegenden Fall zusätzlich verschärft durch das Instrument des Trios, die Vierteltontuba. Die Schärfen und Unschärfen stehen sowohl im Zentrum des Konzerts als auch in einer wissenschaftlichen Arbeit von Robin Hayward. Dass eine Dreiviertelstunde minimalster tonaler Veränderung nicht langweilt, ist auf die Kunst der drei zurückzuführen. Für meinen Geschmack war das Konzert etwas zu leise, allerdings blieb, sagt Hayward, für eine risikolose Mikrofonierung keine Zeit mehr. Um ganze Welten expressiver gehen Jeb Bishop, Matthias Müller & Matthias Muche an drei Posaunen zu Werke. Die Deutsch-Amerikanische Freundschaft aus Improsicht zeigt sich in unterschiedlichsten Temperamente extrem beweglich und interaktionssicher – sowohl in zarten, subtilen Passagen als auch turbulenten, fast überschwänglichen. Häufig hält ein Posaunist das Thema, über das die beiden anderen improvisieren, dann soliert wieder einer über eine zweifache Spielfigur und in seltenen Crescendi blasen sich alle drei die Seele aufs Haarsträubendste aus dem Leib. Da fliegt beinahe das Blech weg. Ein vielgestaltiger, feinsinniger Höhepunkt des Festivals.
Den Samstagnachmittag eröffnet das Ensemble Phace mit drei Stücken aus dem Zeitgenössischen. Besonders beeindruckt der Kadosh für verstärkte Violine von Sarah Nemtsov, gespielt von Ivana Pristasova-Zaugg. Kraftvolle, fast aggressive Klänge wechseln mit höchstem Flageolett an der Hörbarkeitsgrenze, gebrochen durch knisternde Irritationen. Der brillante Sound, wie immer beim Kaleidophon von Alfred Reiter, verstärkt das intensive Hörerlebnis. Darauf folgt eine Klanginstallation aus Peter Ablingers monumentalem Hörzyklus weiss/weisslich. Aus bunten Wettex-Tüchern tropft Wasser auf unterschiedlich gestimmte Glasröhren. Je nach Feuchtigkeit verändern sich Rhythmus und Melodien. Das hat auch etwas von einer physikalischen Versuchsanordnung und erhält dadurch auch eine zweite, durchaus humoristische Ebene. Der wenige Tage vor dem Kaleidophon verstorbene Ablinger war den Ulrichsbergern über viele Jahre eng verbunden.
Tihožitje/Stilleben heißt ein slowenisches Ensemble von Samo Kutin, Tomaž Grom, Irena Z. Tomažin und Matija Schellander, bestehend aus mechanisch erweiterter Drehleier, Kontrabass, Stimme und Elektronik. Für die erkrankte Tomažin ist relativ kurzfristig Katharina Klement eingesprungen. Aber als wäre sie von Anfang an dabei, macht sie verblüffenderweise alles richtig. Das ist fast schon ein Alleinstellungsmerkmal Klements. Fredi Reiter bewältigt die komplizierte Elektronik-Anbindung mit viel Geduld und Bravour. Eine Mühe, die sich lohnt. Es brummt, es schnurrt, es sägt, es verdichtet sich, es dünnt aus, es scheidet die Geister. Dieses Stilleben kultiviert eine Musik ohne Anfang und ohne Ende, also ganz im Sinn etwa eines Anthony Braxton. Ein Idealfall für die Zeit außer Kraft setzende Klangkunst. Superb.
Am Ende des zweiten Abends kommt noch das Trio Now!, Tanja Feichtmair, Altsaxofon, Uli Winter, Cello, und Fredi Pröll, Schlagzeug. Local Heroes mit einem enormen Sympathiebonus. In der zweiten Spielhälfte werden die drei noch durch den Posaunisten Christofer Varner verstärkt. Das gibt feine Reibungen zwischen den Bläsern als zusätzlichen Reiz, ein gegenseitiges Anstacheln, auch einiges an Witz. Die immer wieder beeindruckenden Ulrichsberger musizieren nun schon ein gutes Vierteljahrhundert miteinander, entwickeln sich beständig weiter, bleiben nie stehen. Chapeau.

Eine klassische Jazzbesetzung mit kluger Dramaturgie kennzeichnet das Twirls Quartett von Alexander Beierbach (sax), Nicolas Schulze (p), Meinrad Kneer (b) und Yorgos Dimitriades (dr). Fein synchronisierte Crescendi streben langsam aber unaufhaltsam auf Höhepunkte zu, gewinnen so an Spannung und Dramatik. Soli und Begleitung verschmelzen, gleichrangig stehen die vier Instrumente nebeneinander, kommunizieren, ohne in Konkurrenz zu treten. Nicht selbstdarstellerische Präsentation der Egos steht im Vordergrund, sondern der dichte, anregende Gesamtklang. Die vier kommen zur Gänze ohne Verfremdung aus, eine feine, rein akustische Abwechslung. Manchmal ganz leise, fast tempolos schweben die Klänge im Raum.
Nicht, dass das jetzt jemanden groß überrascht hätte: Das Alexander Hawkins Trio, mit Neil Charles am Bass und Steven Davis an den Drums, war eines der Top-Highlights dieses an Schmankerln ohnehin reich bestückten Festivals, wie auch rückblickende Fachsimpeleien mit einschlägigen Nerds bestätigten.Wenn Hawkins in expressiven Passagen mit den Fingern über die Tastatur wirbelt, wird einem fast schwindlig, und auf Fotos zeigen sich seine Hände mitunter nur noch verschwommen. Wie üblich changiert der Gig zwischen solchen Freak-out-Passagen, die an Cecil Taylor gemahnen, und strukturierten, komponierten Phasen, Notenblätter liegen parat. Dass sich das Londoner Trio bereits 2012 zusammentat und folglich intuitiv miteinander kommuniziert und harmoniert, war jederzeit hör- und spürbar: Bei aller Brillianz der Hawkins’schen Hand- und Kopfarbeit sind Charles und Davis keinesfalls untergeordnetes Beiwerk im Sinne einer Jazz-Standardbesetzung, sondern stets in der Lage, Gegengewichte zu schaffen und eigene Dynamiken zu entfalten.
Wie von Geisterhand bewegt, beginnt das Klavier von selbst zu spielen, während Katharina Klement um das geliebte Instrument wandert. Das ist schon eine der Kernaussagen ihrer erstaunlichen Performance beim 2025er Kaleidophon. Das Klavier erscheint als dicht verkabeltes High-Tech-Gerät, das vielfältigste Klänge produziert. Die Pianistin erforscht Klangoptionen des Innenklaviers und des Rahmens, klopft, zupft und manipuliert. Ein im Innenraum schwebendes Blatt Papier ermöglicht Feinsinn und Zärtlichkeit. Klement zieht Schnüre durch die Saiten, als möchte sie das Gerät vergrößern, noch bedeutender machen. Und irgendwann blinkt das Klavier wie ein Weihnachtsbaum, man hört einen Wasserfall durch den Flügel rauschen, und von irgendwoher kommen kaum verständliche verbale Botschaften. Große Begeisterung für eine sehr stimmige Klanginstallation.
Vom finalen Auftritt von Yes Deer (Signe Emmeluth, Karl Bjorå, Anders Vestergaard) hätte man sich angesichts ihrer brandaktuellen CD everything that schines, everything that hurts (siehe freiStil #119) etwas mehr erwarten dürfen als Jazz-affines Dauerpowerplay. Mehr Noiserock- und Metalpassagen, weniger Gedudel und Gefrickel. Wenigstens Vestergaard zeigt sich von Kaleidophon-Usancen bzw. dem Respekt davor unbeeindruckt und drischt drauf los wie ein Berserker. Herrlich.
Fazit: Das zweite Festivaljahr in der Intendanz von Julius Winter war weit weniger auf Sicherheit bedacht als sein erstes, vielgestaltiger, schlauer programmiert, auch riskanter. Bis auf die nervtötend esoterische Moderation geht das Kaleidophon neu straight-ahead in die richtige Richtung. Kompliment.
Christoph Haunschmid / Bernd Lederer / Andreas Fellinger